Tatoo

Im Zug sitzt sie mir gegenüber, hat einen schläfrigen Blick, will die Welt nicht mit ihren Augen sehen und starrt deshalb lange aus dem Fenster. Dann nimmt sie sich eine Zeitschrift, während ihr das Strickjäckchen langsam von der Schulter rutscht und einen gefallenen Engel neben dem Brustansatz freilegt. Und eine Schnurschrift am Handgelenk. Sie liest die „Tatoo“ und vergräbt sich in neue Motive für die Haut. Auf dem Cover prangt „Die 20 ekligsten Tatoowunden“. Draussen drischt der Regen gegen das Zugfenster und wir schiessen in ein Tunnel hinein. Die Farben der Bildstrecke vor ihren Augen werden schon irgendwann auf ihren Oberarm finden. Oder auf den Rücken. Sie beachtet mich nicht, hat nur Augen für den Centerfold. Der Mann ist voller Bilder am Körper. Mehr nimmt sie nicht wahr.