Entfernen. Ende.

Vor der Beerdigung eines alten Freundes stand es am Wegrand. Das Schild mit „Kühne. Kisten.“ So den seinen Namen in Bezug auf eine Kiste zu lesen hätte ihm wahrscheinlich jetzt noch ein brüllendes Lachen hervorgebracht. So war sein Humor. Liebevoll doch schwarz. Mir blieb im Moment das Lachen im Halse stecken. Nicht dass ich Wortwitze ablehnte. Im Gegenteil. Aber hier schlug die Pointe zu derb ins Gesicht.

Es war nicht angenehm und doch friedfertig vor seinem Sarg in der stillen Kapelle zu sitzen. Die Sonne zeichnete einen Schimmer auf das Kreuz an der Wand, die Blumen glimmten wie in der Nachmittagssonne auf. Es verhallte ein schöner Gesang, die Trauerrede war grossartig gewesen. Vertraut von einem alten Bekannten, sehr bedächtig in ihren Worten. Eine wundervolle Trauerfeier, wenn es so etwas denn geben konnte.

Aber ich war einfach nur wütend. Auf das Schild, das am Weg vom Friedhof weg wieder neben mir auftauchte, auf das Leben. Ja, ich hatte an diesem Nachmittag nichts Gutes über das Leben zu sagen. Es war gemein, es war kalt, es war unerbittlich und ohne ein Gespür für einen richtigen Zeitpunkt. Es liess die noch Lebenden einfach zurück und scherte sich nicht um uns. Schon gar nicht um den Toten, der so viel in seinem Leben gemacht und erreicht hatte, der immer strampelte und vielleicht nicht immer für alle leicht, aber bewundernswert vorankam.

Dann schied er aus. Liess aprupt all sein Leben fahren.

Im dritten Drittel meines eigenen Lebens ankommend denke ich mir, dass ich wohl auch eine solche Trauerrede provozieren könnte, man würde mir eine schöne Trauerfeier gestalten. Ich würde alles fahren gelassen haben und nur noch als leere Hülle da liegen.

Aber was würde ich fahren lassen. Mir scheint ich habe nie wirklich etwas gelernt und bis in die Tiefen begriffen, mir scheint ich poliere nur einen immer weiter versiegenden Schimmer, gebe mir nicht zu, dass ich nichts weiss und nichts kann. Das aber laut und deutlich. Es liegt nichts von Dauer da, das aus mir stammte. Alles ist Vergänglich. Vielleicht sollte ich, meiner dementen Mutter gleich, jetzt schon anfangen, offiziell Stück für Stück meines Seins und angeblichen Könnens zu entlernen. Jetzt schon. Damit ich leer bin, wenn ich sterbe und jemand neben meiner Kiste sagen kann: Er hat beizeiten alles weggelegt und geordnet, damit er frei gehen kann. Es sind keine Fäden mehr an seiner Statt zu ziehen. Alles hat längst seinen Frieden gefunden. Und damit auch er.

Vielleicht ist das die Aufgabe eines Menschen in seinem letzten Lebensdrittel: sich zu erübrigen. Schon einmal den eigenen Tand zu entsorgen und den Nachlass als ein leeres Blatt Papier schon zu Lebzeiten zu eröffnen. Ich lernte ja eh nicht im Leben dazu und habe eigentlich nichts vorzuweisen. Warum also diese Hülle neben meiner leiblichen auch noch herumstehen lassen.

Die kühne Kiste steht leer herum. Danke für das vorzeitige Wegräumen, Harald.