Lehrstunde „Umdrehen“

Ich hatte mich also verstiegen. Zehn Minuten zuvor keine Markierungen mehr am Wegrand, dann überwuchern Moos und Gras die Tritte. Ich bin weitergelaufen, in die Klamm hinein, das Gelände wurde steiler. Schliesslich hing ich an zwei Wurzeln festgekrallt in einer abgestuften Wand. Fünfzig Meter unter mir der Klammbach. Über mir noch kein Ende abzusehen. Es war eine Lehrstunde darüber, dass man den richtigen Zeitpunkt umzudrehen verpasst.

Nicht dass es mir unklar gewesen wäre. Schon fünf Minuten vorher hatte ich die Einsicht in einer Sackgasse gelandet zu sein, aber geglaubt habe ich es mir selbst nicht. Und damit  verpasste ich die Gelegenheit umzudrehen. Denn jetzt war das Gelände so steil, dass es mir besser schien, nach oben hinauszusteigen und einen Absturz zu riskieren als bei einem unbeholfenen Abstieg umso leichter abzurutschen und zu fallen.

Zuerst eine Lachen in mir. Dass mir das an der gleichen Stelle wieder passiert. Ich hätte doch die andere Weggabel nehmen sollen, wie vor einem Jahr. Als ich zumindest nur durch einen Wald klettern musste, um wieder einen Weg zu finden. Dann die Panik, was wäre wenn es passierte. Der Sturz, der Bruch der Knochen, der Notruf, den keinen hören würde.

Dann die Einsicht, dass ich das schon schaffen würde. Dass es nur darum ginge, fünf oder sechs Höhenmeter seitlich links hinauszusteigen, um den Überhang zu umgehen und aus der Wand zu kommen. Das beginnende Zittern der Waden, wenn der Stand zu knapp wurde, das fiebrige Suchen der richtigen Äste, die nicht zu morsch für einen Halt heraushingen. Zuweilen brach einer der Zweige. Rechtzeitig, schon bei einer Vorbelastung. Ich lernte schnell, fand plötzlich GEfallen and er Kletterei.

Tatsächlich konnte ich bald wieder eine Lichtung über mir in den Baumkronen sehen. Und wäre beinahe doch abgestürzt, weil es plötzlich ganz leicht schien, die letzten drei Meter noch hinüber zu springen. War es aber nicht.

Ich lernte an diesem Morgen, dass ein Umkehren im Leben immer zu spät als Option erscheint und man lieber weiter hineinsteigt in seine Fehler. Daran lernt man, sagt man. Das tut man, wenn man kurz vor deren Ende nicht zu nachlässig wird.

Als ich wieder auf den Weg über der Klamm kam, vergass ich schnell. Die Sonne schien.